Jolanda Spiess l 29. November 2024 I Kraftwerk Selnau, Zürich
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Tankstellendieb, der die gleiche Tankstelle innert kurzer Zeit 150 Mal überfallen hat.
Nach dem 151. Mal sind sie erwischt worden und später auch verurteilt.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich dann beim Tankwart und in aller Öffentlichkeit entschuldigt:
“Sorry Tankwart! Es ist nie unsere Absicht gewesen, Tankstellen zu schädigen. Sorry. Sorry. Sorry. “
Das kann passieren.
Jetzt müssen sie sich vorstellen, dass sie als Tankstellendieb zwar an Entschuldigungen nicht sparen, aber gleichzeitig alles tun, um die erzielte Beute, (die sie zum Teil schon an ihre Kollegen weitervertickt haben), nicht wieder an den Tankwart herausrücken zu müssen. Das strapaziert die Vorstellungskraft schon deutlich mehr. Sie würden alles an Rechtsanwälten aufbieten, was sich finden lässt, Beratungsfirmen 140-seitige und wahrscheinlich sehr teure Gutachten verfassen lassen, Berufs-Kollegen auf Knopfdruck jammern lassen, wie schlecht es der Branche geht. Und am Schluss kämen sie noch mit dem Argument, es wären ganz viele Arbeitsplätze gefährdet, wenn man plötzlich illegal erbeutete Gewinne wieder an den Eigentümer herausrücken müsse.
Das sei sogar für die Demokratie schlecht.
Falls sie Parallelen zu meinem Fall erkennen und denken, hier ginge es doch gar nicht um Tankstellen, sondern um Journalismus, liegen sie falsch . Mein Fall hat nichts mit Journalismus zu tun. Genauso wie die über 150 Artikel, die von einer Boulevardzeitung über mich veröffentlicht worden sind, nie etwas mit Journalismus zu tun hatten. Es ging nie darum, über etwas wahrhaftig oder glaubwürdig zu berichten. Es ging nur darum, Klicks zu generieren und dabei in Kauf zu nehmen, dass Menschen vernichtet werden.
Aus reiner Gewinnsucht.
Mein Tankstellen-Räuber-Beispiel klingt absurd, ich weiss . Aber wissen Sie, was ich am absurdesten finde, falls ich dann doch mal die Medien- mit der Tankstellen-Branche vergleiche? Niemals würde es dem ehrlichen Tankwart-Verband in den Sinn kommen, die Tankstellen-Diebe in Schutz zu nehmen. Man würde sich nicht solidarisieren. Nicht auf den Boden schauen. Sich ein dramatisches Stockholm-Syndrom einfangen und die Täter zu Opfern machen – und schon gar nicht würde man aktiv oder passiv Leute dazu animieren, anonym oder in persona zu behaupten, die Tankstelle sei ja selber schuld, dass sie so oft überfallen worden ist. Sie habe es ja vor allem auch selbst gewollt.
Kein Tankstellenverband der Welt würde akzeptieren, dass plötzlich der überfallene Tankwart verunglimpft wird. Etwa, weil er 150 Mal um Hilfe geschrien hat, zum Beispiel. Oder weil er noch lebt und der Branche ein unschönes Spiegelbild abgibt. Und spätestens wenn dann – nach Jahren – die Gerichtsurteile eintreffen, die reihenweise juristisch eindeutig sind, würden Sie diese Entscheide akzeptieren und irgendwann mal klar und deutlich aussprechen, wer hier Opfer und wer Täter ist. Man würde sich auf keinen Fall auf irgendwelche anonymen Behauptungen abstützen, die ja heute jeder ausstossen kann.
Und man würde – auf keinen Fall SCHWEIGEN – wenn man denn Kenntnis von solchen Machenschaften hätte im Tankstellenverband. So eine Omerta kennen höchstens die Verbandsmitglieder im Süden.
Mein Fall hat zum Glück nichts mit Tankstellen-Dieben zu tun, sondern mit hochwürdigen Verlegern. Und mit Journalist:innen, die der Aufklärung verpflichtet sind. Von denen sind heute viele da.
Die Gründung von Tsüri und die für mich so schicksalhafte Landammannfeier sind jetzt beide 10 Jahre her. Im Fall von Tsüri sicher ein grosser Grund zum Feiern. Und ich fühle mich Tsüri schon sehr lange verbunden. Schliesslich haben wir beide etwas gemeinsam: es ist fast ein Wunder, dass wir noch da sind.
Ich habe zu meinem Jubiläum ein Buch geschrieben. Es ist keine Festschrift, aber auch kein Rache-Buch über die Medienbranche, obwohl es mich andauernd in den Fingern gejuckt hat. Mir ging es vor allem darum, meine Geschichte, die andere falsch und ungefragt und immerzu erzählen, endlich mal selber aufzuschreiben. Ich lege es ihnen ans Herz. Weil es viel über mich erzählt und viel über den Zustand der Medienbranche. Und darüber, wie man so etwas überlebt.
Es hat also auch Service-Charakter.
Warum es Tsüri braucht? Nun, während die grossen Verlagshäuser alles tun, um etwa mein Buch nicht zu erwähnen, bin ich hier und darf zu Ihnen sprechen . Ich darf Fragen stellen , bei denen ich mich wundere, dass eine Branche, die Fragen stellen als ihr täglich Brot versteht, sie nicht schon längst gestellt hat: Etwa …
- warum hat Tamedia eine erstinstanzlich wegen Verleumdung verurteilte Autorin beauftragt, ein schlagseitiges und fehlerhaftes Buch über mich zu schreiben?
- Warum ist man als Autorin, die wegen wissentlicher Falschbeschuldigung – also dem puren Gegenteil von fairem Journalismus – erstinstanzlich verurteilt worden ist, überhaupt noch als Redaktorin tätig?
- Warum tut Tamedia nicht alles, um auch nur den Anschein des Verdachts aus dem Weg zu räumen, sie wollen mir gezielt und über Jahre mit unfairer Berichterstattung schaden und mich zum Aufgeben zwingen?
- Warum wollen mir gegenüber feindlich gesinnte Medienmenschen das Video meiner ersten polizeilichen Einvernahme partout nicht mit mir anschauen?
- Warum gibt es in den Schweizer Medien niemanden mehr, der sich getraut, diese Fragen zu stellen?
- Warum muss vermutlich am Schluss wieder Tsüri ran, was auf sicher wieder eine Retourkutsche in der NZZ zur Folge hat?
Vielleicht fragen Sie sich, hier bei 10 Jahren Tsüri, wie Sie dem Journalismus helfen können?
Indem Sie ganz allgemein dem verleumderischen Druck und Dreck nicht nachgeben. Indem sie zu unseren Werten der Aufklärung stehen. Zu den Werten des Journalismus und vielleicht auch zu mir und all den vielen anderen Menschen, die über permanente, meist anonyme Verleumdung zu unberührbaren Personen gemacht werden sollen. Schauen Sie nicht weg. Schauen Sie hin. Trauen Sie sich das. Medien und eine demokratische Gesellschaft brauchen Mut und Ehrlichkeit.
Zuhören sollten Sie auch. Meine ersten Lesungen finden nächste Woche statt. Am 5. Dezember in Züri und am 6. in Bern . Setzen Sie ein Zeichen und kommen Sie alle. Sie kriegen keinen Rachefeldzug, sondern ein ehrliches Buch und – ich kann es nicht verhindern, ein Spiegelbild auf den Teil ihrer Branche, auf den sie als aufrichtige Journalist:innen selber sicher nicht besonders stolz sind.
Sie sind herzlich willkommen und – Spoiler – es ist zum Teil auch recht amüsant, sich so etwas von halbaussen anzusehen und sicher viel weniger traurig als der aktuelle Zustand der Branche.
Was bleibt mir noch zu sagen?
Nicht mehr viel. Ausser:
“10 Jahre Tsüri, 10 Jahre Landammannfeier, wir sind immer noch da, und uns brauchts mehr denn je, in diesem Sinne: Prostata!“