Guten Morgen, allerseits.
 
Es freut mich sehr, dass ich dieses Jahr das Reporter-Forum eröffnen darf, ja, es ehrt mich, dies machen zu dürfen.
«…weil ich euch Journalisten immer wieder an eure Verantwortung mahne», begründete Christoph Moser meine Einladung. 
 
Na dann.

Sie kennen mich. Sie kennen meine Geschichte. Sie haben sich eine Meinung über mich gebildet. 

Das macht es für mich schwierig. Denn ich kenne Sie nicht. Weiss nicht, auf welchen Fakten oder Gerüchten diese gemachte Meinung basiert. Ob sie überhaupt die Fakten kennen. Oder ob Sie in einer dieser Redaktionen arbeiten, welche sich nicht um Fakten scheren. 
Ich gehe (vielleicht auch nur zu meiner eigenen Beruhigung) davon aus, dass Sie, ja, Sie hier, zu jenen Journalistinnen und Journalisten gehören, welche diese Berufsbezeichnung verdient haben. Dass Sie jene sind, welche meine Geschichte recherchiert anstatt bloss kommentiert haben. Alle anderen dürften sich dann wieder abgemeldet haben, als sie meinen Namen auf dem Line-Up gelesen haben. Denn, das ist tatsächlich wahr: Jene Medienschaffenden, die die meisten Fehler in der Berichterstattung über mich gemacht haben, haben mich auf Twitter oder Facebook blockiert. Sie möchten gar nichts von Aufarbeitung hören. Geschweige dann, etwas wieder gut machen oder sich gar entschuldigen. 

Und schon sind wir mittendrin. Ich hab mir ja gut überlegt, was ich Ihnen heute hier mitteilen möchte. Die bösartigsten oder auch nur nicht-recherchierten Geschichten, welche über mich geschrieben wurden, erspare ich ihnen. Dafür ist Google ein sicherer Wert. Das Zeug bleibt dort ewig auffindbar, auch wenn es noch so falsch ist. Und die verleumderischen und falschen Weltwoche-Artikel über mich findet man entweder auf den Profilen von SVP-Mandatsträgern oder bei der SVP selbst auf der Website – was doch eigentlich schon genug sagt, oder?

Ich steh heute da, fast 4 Jahre sind nach jener verheerenden Winternacht nach der Landammannfeier in Zug vergangen. Ich habe mich erholt von der Medienhetzjagd, auf welche die Jagd in den Sozialen Medien folgte. Sie war für mich derart belastend, dass ich – so meine Psychologin – das eigentliche Drama, den ungeklärten Vorfall nach der besagten Feier – gar nie verarbeiten konnte. Überlebt habe ich dank der Pharmaindustrie. 

Falsch gemacht habe ich nichts. 

Als dies die Staatsanwaltschaft letzten Frühling nach langen 3 ½ Jahren endlich kommunizierte, wurde dies nicht mehr breitgetreten, wie all die Spekulationen und Gerüchte damals. Die Lokalzeitung druckte 1 Infokästchen ab, nicht mal 10 Zentimeter gross. 

Alles richtig gemacht. 
Keine Ausreden gesucht.
Keine Falschbeschuldigung.
Kein hinterhältiger Weibertrick, um Männern die Karriere zu versauen.
Man darf davon ausgehen, dass alles, was ich gesagt habe, der Wahrheit entsprach.

Ich erinnere mich, als vor 3 Jahren eine Frau im Bus (sie hatte mich nicht gesehen) zu einer anderen gesagt hat, dass wenn nur schon die Hälfte stimmen würde, was diese Spiess-Hegglin sagt, es doch ein Riesenskandal für Zug und ein Armutszeugnis für die Medien schweizweit wäre.

Nun dann.

Ich habe nachgeschaut, wieviele Artikel über mich geschrieben wurden. Es waren fast 2000. 
170 allein bei Blick.
Vor Weihnachten 2014, als Parteipräsidentin und Hoffnungsträgerin der Grünen für den Nationalrat, waren es zwei Dutzend Erwähnungen.

Und wissen Sie, wieviele dieser fast 2000 Artikel aufgrund Akten und Fakten recherchiert waren? 

Im Jahr 2015 war es einer. 
​Der Vice-Artikel von Nadja Brenneisen. Sie fasste alle Ungereimtheiten und Unterlassungen der Untersuchungsbehörden zusammen und zeichnete das Bild vom Filz in Zug haargenau nach. Ausserdem machte sie öffentlich, dass noch eine zweite, unbekannte männliche DNA an meiner Unterwäsche gefunden wurde. 
Der Artikel musste gelöscht werden, weil die Anwälte der SVP im Roten Bereich drehten. Man findet ihn aber noch über Google, immerhin. 
Niemand, kein anderes Medium, hat diese Vorgehensweise und Einschüchterung hinterfragt, geschweige dann verurteilt. Nadja Brenneisen, eine junge und unerschrockene Journalistin Anfang 20, hat den Artikel aufgrund der kompletten Untersuchungsakten geschrieben. Doktor Philipp Gut von der Weltwoche hingegen begnügte sich mit einer stark gefilterten Aktenauswahl und bekam auch nur die Protokolle von SVP-Hardlinern zu Gesicht. Oder ignorierte beispielsweise die Protokolle der beiden befragten Regierungsräte, welche das Gegenteil aussagten, bewusst, man weiss es nicht.

Im darauffolgenden Jahr folgte dann eine recherchierte Artikelserie von Radio Pilatus, in welcher die Unabhängigkeit der ermittelnden Staatsanwältin in Frage gestellt wurde, da sie eine frühere Arbeitskollegin des Beschuldigten und mit dem Rechtsbürgerlichen Zug per Du war. Es wurde die Einflussnahme von SVP-Politikern ins Verfahren thematisiert, die fehlende Weinflasche, die eben doch hohe Wahrscheinlichkeit von Drogen, undsoweiter.
Die aufgrund der kompletten Akten recherchierten Radiobeiträge wurden von der restlichen Presse, sogar von der Zuger Zeitung desselben Konzerns, ignoriert.

Nicht nur Journalisten mit eigener Agenda auf dem Radar beschrieben den ungeklärten Vorfall in Zug als «Techtelmechtel», die Ereignisse als «Sex-Skandal» oder noch besser: «Sex-Affäre».

Das Problem ist einfach, dass «Sex» etwas Positives vermittelt. Das denkbar Gegenteilige war aber für mich der Fall. Den Vorfall als Sex-Affäre zu bezeichnen ist nicht nur falsch. Es ist für mich sehr verletzend und vermittelt der ohnehin schon patriarchal geprägten Gesellschaft, dass die mutmassliche Tat normal und in Ordnung ist, da «Sex» wie gesagt etwas Positives ist.

Dieses Wortkonstrukt war für mich aber nichts anderes als purer Schmerz. Und es ist bis heute mein Stigma. All die Wutbürger da draussen, stürzten sich auf mich, als ob ich Freiwild ihrer sexuellen Frustration wäre. Das Herunterspielen und boulevardisieren des Vorfalls als «Sex-Affäre» war für mich verheerend. Und es ist bestimmt auch für die mutmasslich vergewaltigte Hotelangestellte in der «Sex-Affäre» von Dominique Strauss-Kahn verheerend. Und auch sicher für die Frau, welche Vorwürfe an Cristiano Ronaldo richtet, welcher jetzt in einen «Sex-Skandal» verwickelt ist. Oder die Frau, welche offenbar abscheuliche Erfahrungen mit diesem US-Richter gemacht hat, wessen Name ich nicht weiss, wie man ihn ausspricht. 

Eine Sex-Affäre ist das Gegenteil einer Vergewaltigung.

So kam es, dass ich über die mutmassliche Schändung, wegen welcher damals gegen zwei SVP-Männer ermittelt wurde, im Blick Überschriften las wie «Jolanda Heggli zeigt ihr Weggli», «Protokoll der Peinlichkeiten», «DNA in der Vagina durchs Duschen» oder Regula Rytz wurde gefragt: «Warum werfen Sie Spiess-Hegglin nicht raus?»

Ja, warum eigentlich. Und warum wurde eigentlich Toni Brunner nie gefragt, warum er Hürlimann nicht rauswerfe.

All diese Beispiele werden als «Himpathy» zusammengefasst – Im Zweifel für den Mann.
«Himpathy» beschreibt das Phänomen, wenn ein Mann Sympathien geniesst – obwohl er als Unhold gilt. Wie eben auch in den Beispielen von Ronaldo oder dem Richter, wessen Name ich nicht weiss, wie man ihn ausspricht. Oder von Donald Trump.

Einmal bezeichnete Blick in einem Artikel meinen Mann als «Gehörnten». Zur Erinnerung: es ging um den Vorwurf der Schändung, Vergewaltigung ohne Gegenwehr. Im selben Artikel, wurde auch ein Freund der Familie, der Götti unseres jüngsten Sohnes und Schlagzeuger in der Band, in welcher mein Mann am Bass spielte, an die Öffentlichkeit gezerrt, weil er damals die Landammannfeier moderierte. Für ihn war es schlimm, ebenfalls in den Fokus der Boulevardmedien zu gelangen. 

Er gab mir die Schuld dafür. 

Die Folge davon ist, dass mein Mann nun nicht mehr in dieser Band spielt, welche er in der Kantizeit mitgegründet hat, und dieser Freund nun nicht mehr Götti unseres Sohnes ist. 
Eine verletzende und falsche Berichterstattung kann Lebenswege auseinanderreissen. Über die Hälfte unseres Freundeskreises ist nicht mehr. Dafür, klar, haben wir viele neue Freunde kennengelernt.

Der Presserat hat meine Beschwerde zur Blick-Berichterstattung ja in allen Punkten gutgeheissen und das Boulevardblatt heftig gerügt. 
Sie alle wissen, es ist üblich, dass die gerügte Partei den Entscheid auch abdruckt. Blick hat das nicht gemacht. 

Sie alle sind Journalistinnen und Journalisten. Ich war es auch fast 10 Jahre lang, war VJ und Produzentin bei einem Regionalfernsehsender, dann Nachrichtensprecherin beim Radio, bevor ich mich entschied, mich politisch zu engagieren und mich beim Zuger Alt-Regierungsrat Hanspeter Uster der politischen Recherche widmete.

Seit der Hetzjagd hat sich mein Medienkonsumverhalten komplett verändert.

Nur noch 2 Mal im Jahr halte ich eine Zeitung in den Händen. Einmal beim Hausarzt und einmal beim Zahnarzt. Das Gefühl, in einer Zeitung zu blättern, nicht zu wissen, ob auf der nächsten Seite wieder irgend ein Mist über mich steht, ist nicht auszuhalten. Der Geruch des Papiers ekelt mich an. Ich denke dabei an die paar bösartigen Typen auf den Redaktionen der Zuger Zeitung und Blick, und das möchte ich mir nicht mehr antun. 
Keine Tageszeitung hat es seit Dezember 2014 mehr in unsere Wohnung geschafft, die zirka hundert Expemplare der Zuger Zeitung und des Tagesanzeigers bis zum Auslaufen der Abos fischte ich 1 Mal pro Woche aus dem Briefkasten und schmiss sie auf direktem Weg in den nächsten öffentlichen Mülleimer.

Ich bin aber weit davon entfernt, auf Kriegsfuss mit einer gesamten Branche zu sein. Inzwischen ist es mir gelungen, aus jeder Redaktion Menschen mit einem soliden Handwerk kennenzulernen. Sogar bei Blick. 
Fast bei jeder. Nicht bei der Regionalredaktion der Zuger Zeitung. Dort ist die Berichterstattung über mich nun aber glücklicherweise Chefsache. Pascal Hollenstein , der publizistische Leiter der Luzerner Zeitung und neu auch von CH Media, hat sich letztes Jahr öffentlich für die Berichterstattung der Zuger Zeitung über mich entschuldigt. Er schrieb in der Zuger Zeitung und allen Regionalausgaben folgendes: 

«Jenseits juristischen Auseinandersetzungen kann man festhalten, dass sich einige Medien zu Vorverurteilungen, Ungenauigkeiten und zur Verbreitung zum Teil ungenügend verifizierter Informationen zu Ungunsten von Jolanda Spiess-Hegglin hinreissen lassen haben. Auch dieser Zeitung sind Fehler unterlaufen. Dafür möchten wir uns entschuldigen. Und die interne Qualitätskontrolle weiter verbessern.»

Pascal Hollenstein war damals noch nichtmal der Chef dieser Schreibtischtäter.
Seine Entschuldigung blieb bis heute die einzige.


Sie haben es gemerkt, richtig? Ich trage ganz neu diese Brille. Sie macht einem ja in einem gewissen Sinne kompetent, und ich möchte ja, dass Sie mir heute auch zuhören. Zu lange haben mir ihre Kolleginnen und Kollegen nicht zugehört. Ich wollte Artikel über mich richtigstellen, doch es wurde mir lediglich das Wort im Mund verdreht. Es war zum Verzweifeln. 
Ich konnte meine Brille letzten Montag beim Optiker abholen und fühle mich mit ihr wie ein anderer Mensch. Ich finde, ich sehe mit ihr auch ganz anders aus. 
Ich hätte die Brille gern schon vorletze Woche abgeholt und sie in die Ferien mitgenommen, doch leider war die Zeit für die Herstellung zu knapp. So wurde ich halt eben auch bei der Sagrada Familia in Barcelona von Schweizern angeglotzt. Das Angeglotztwerden nervt mich, es nervt meinen Mann, meine Kinder, meine Eltern. Aber es ist mein Alltag seit 4 Jahren.
Deshalb trage ich nun vermehrt eine Brille. 

Ich möchte Ihnen heute aber nicht mein Leid beklagen. Die Opferrolle steht mir nicht, ich will sie nicht. Genau das hat es damals ja auch so schwierig gemacht. 
Opfer, seien es Opfer von Straftaten oder Persönlichkeitsverletzungen, von denen erwartet man ein typisches Opferverhalten. 
Schmerz. Verletzlichkeit. Demut.
Man hätte von mir erwartet, dass ich während einem Interview zusammenbreche. Man hätte mich mit Tränen in den Augen fotografieren wollen. 
Doch stattdessen war da immer diese Frau, die lächelte. Die stolz bleiben wollte. Und man verwendete für die Berichterstattung über eine mutmassliche Schändung ein Wahlkampffoto, auf welchem ich strahlte wie ein Maikäfer.

Als Betroffene von persönlichkeitsverletzender Medienberichterstattung will ich eigentlich auch nicht Medienopfer genannt werden. 
Um gesund werden zu können – ich war ein ganzes Jahr krankgeschrieben und musste aufgrund einer mittelschweren Depression mit posttraumatischer Belastungsstörung starke Antidepressiva zu mir nehmen (mein Mann übrigens auch) – um gesund werden zu können, muss man aus der Opferrolle raus. Raus aus diesem Teufelskreis. Ich versuchte, die Kontrolle über meine Geschichte zu erhalten.
Ich wollte entscheiden, was an die Öffentlichkeit geht und was nicht. 
Ich wollte korrekt zitiert werden. 
Ich wollte die Artikel gegenlesen. 
Dieser Anspruch wiederum bescherte mir unter Medienschaffenden den Ruf als zickige Diva, welche eine an der Waffel hat.

Ich will auch kein Hass-Objekt sein. Denn ich war zuvor noch nie ein Hass-Objekt. Das schlimmste daran war ohnehin nicht der Hass, sondern ein Objekt zu sein.

Es kam niemandem in den Sinn, sich zu fragen, ob es mir, welche ohne Vorwarnung und Grund medial geteert, gefedert und viergeteilt wurde, gut ging, oder ob ich am Boden zerstört war. Wenn Demütigungen wie fernab ausgeführte Drohnenangriffe daherkommen, ist niemand gezwungen, darüber nachzudenken, wie verheerend sich diese gebündelten Kräfte auswirken können. 
Die Schneeflocke muss sich ja auch nie für die ganze Lawine verantwortlich fühlen. 

Menschen, auch Medienschaffende, haben sich zu Gruppen zusammengeschlossen und psychische Gewaltakte begangen, die jeder für sich nie auch nur im Traum begehen würde. Es war wie ein anarchistischer Massenaufstand, dieses Rudelverhalten.
Diese Menschen haben innerhalb der Masse vollständig die Kontrolle über ihr Handeln verloren. Bei einem solchen Kesseltreiben ist man nicht mehr sich selbst. 
Man randaliert oder zerstört Menschen – nicht nur im virtuellen Raum.

Ich habe den Pakt gebrochen, indem ich mich geweigert habe, ein Opfer zu sein und mich gefälligst zu schämen. 
Es war mein einziger Ausweg. 
Ich hätte liegenbleiben können oder zu Hause sitzen und jeden Tag Filme gucken und heulen und mich selbst bemitleiden. 
Doch das habe ich nicht gemacht. Ich wollte wieder aufstehen.
In der Folge fiel für diejenigen, die mir all das angetan haben, alles in sich zusammen. 

Ich konnte mich über all diese Demütigungen wegsetzen, in dem ich mich geweigert habe, mich zu schämen. Es ist die einzige Chance auf Änderung in diesem festgebrannten patriarchalen Gesellschaftssystem.

Diese Weigerung, als Opfer zugrunde zu gehen und das Thematisieren der gemachten Fehler – in ständiger Wiederholung (auch wenn es die Täter noch so sehr nervt) – gibt uns allen jetzt die Möglichkeit zu lernen und ohne Gesichtsverlust dafür zu sorgen, dass sich Geschichten wie meine nie mehr wiederholen. 

Fast hätt ichs vergessen: In vier Wochen findet mein Gerichtsprozess gegen Blick unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, im Frühling dann der zweite gegen die Weltwoche. 


Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

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